Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

1999 ist es zum ersten Mal seit der Reformation mit der Gemeinsamen Erklärung und den Zusatzdokumenten gelungen, dass die seit damals getrennten Kirchen gemeinsame Aussagen zu jener Lehre machen, die einst Ausgangspunkt für das Zerbrechen der Einheit der abendländischen Kirche gewesen ist. Die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts, die sich auf die Rechtfertigungslehre beziehen, haben damit ihre kirchentrennende Wirkung verloren.

In einer Sternstunde der Ökumene wurde die «Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre» am 31. Oktober 1999 (Reformationstag) in St. Anna unterzeichnet. Zum Kern lutherischer Theologie wurde in dieser Erklärung ein gemeinsames Verständnis gefunden: Die Gemeinsame Erklärung hält fest, dass die Lehre von der Rechtfertigung nicht kirchentrennend ist. Vatikan und Lutherischer Weltbund sagen nun:

«Gemeinsam bekennen wir: allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.» (GE 15)

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Pfarrer Peter Thorn, damals Pfarrer an St. Anna, erinnert sich an die Unterzeichnung

Es gibt zwei Ereignisse, für die ich im Laufe meines Lebens Zeitzeuge sein durfte, und die mich zutiefst bewegt haben: das eine war der Fall der Mauer, bzw. die Auflösung der DDR. Das andere war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zwischen Vertretungen der römisch-katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund. Beides hat ja etwas zu tun mit dem Versuch der Überwindung einer schmerzhaften Grenzziehung und mit Versöhnung. In dem Ereignis im Dom und in St. Anna am 31. Oktober 1999 habe ich etwas gespürt von der Macht des göttlichen Geistes, dem sich kaum einer entziehen konnte.

Lange hatten wir nach dem Tisch gesucht, der in Größe und Würde der Bedeutung des Ereignisses entsprach. Bei den Diakonissen schließlich fanden wir ihn und stellten ihn gegenüber der Kanzel auf. Die zwei alten Ledersessel aus der Sakristei markierten die Plätze für die Unterzeichnenden. Als einer der zwei Zeremonienmeister, wie sie uns nannten, durfte ich zusammen mit einem katholischen Pfarrer die zu unterzeichnenden Dokumente vorlegen.

Verschiedene Ansprachen waren vorausgegangen. Ein Römischer Kardinal auf der Kanzel von St. Anna. Schon das war ein unvergesslicher Eindruck. Mit Gemeindegesang und Gebeten, Chorgesang, Orgelmusik und dem Vortrag wesentlicher Abschnitte aus dem Dokument näherten wir uns dem Höhepunkt. Bischof Kasper und Generalsekretär Noko erhoben sich und ließen sich von uns Zeremonienmeistern zu ihren Plätzen am Tisch der Unterzeichnung geleiten. Wir reichten ihnen die Schreibgeräte und das zu unterzeichnende Dokument, dann tauschten wir die Dokumente und ließen auch sie unterzeichnen. Die beiden erhoben sich. Wir zogen die Sessel ein wenig zurück. Noko und Kasper wendeten sich einander zu. Es war atemlose Stille in der Kirche, nur das geschäftige Hantieren der Fotographen, die sich wie eine Meute am Boden auf den Tisch zu bewegt hatten, war zu hören. Und da geschah, was ich als lutherischer Pfarrer kaum für möglich gehalten hatte: Noko und Kasper umarmten sich.

Ich war froh um den losbrechenden Applaus in der übervoll besetzten Kirche, denn ich konnte meine Rührung kaum verbergen. So könnte es sein mit der versöhnten Verschiedenheit, musste ich denken. Hinter dieses Bild kann unsere Hoffnung nicht mehr zurück.

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Bedeutung der Gemeinsamen Erklärung für die Kirchengemeinschaft

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schreibt: "Das jetzt Erreichte bedeutet noch nicht die Herstellung von Kirchengemeinschaft. Es kann aber zu einer wichtigen Voraussetzung dafür werden, wenn es konsequent für die Weiterarbeit an den nach wie vor strittigen Themen genutzt wird, die die Gemeinsame Erklärung selbst nennt: insbesondere das Verhältnis von Wort Gottes und kirchlicher Lehre sowie die Lehre von der Kirche, von ihrer Einheit, vom kirchlichen Amt, von der Autorität in der Kirche und von den Sakramenten.

Hoffnungsvoll stimmt uns die Aussage in der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche, wonach der erreichte Konsens Ausgangspunkt für weitere Dialogbemühungen sein soll, um "zu voller Kirchengemeinschaft, zu einer Einheit in Verschiedenheit zu gelangen, in der verbleibende Unterschiede miteinander 'versöhnt' würden und keine trennende Kraft mehr hätten".

Damit wird auf das Konzept der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" Bezug genommen, das sich in der Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa auf der Grundlage der Leuenberger Konkordie von 1973 hervorragend bewährt hat und das von allen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland bejaht wird. Die reformatorischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche werden durch die nunmehr erreichte Verständigung über Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre auf das in der Heiligen Schrift bezeugte Evangelium zurückverwiesen, das allein der Grund der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" ist." (Gesamte EKD-Pressemeldung lesen)

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