Dekan Frank Kreiselmeier: Gedanken zu Heiligabend

Dekan Frank Kreiselmeier
Bildrechte Dekanat / I. Hoffmann

„Endlich Heilig Abend, endlich wird es ruhiger“, höre ich immer wieder und es hört sich müde an. Aber das beobachte ich nicht erst zu Weihnachten. Das habe ich in diesem Jahr relativ oft gehört: Müdigkeit, nicht nur körperlich müde sein, sondern auch ein Erschöpftsein der Seele. Ich denke, viele Menschen sind müde geworden vom ständigen Krisenmodus, in dem wir uns befinden.

Positionen und Meinungen sind oft hart und können trennen

Es ist gut und es ist auch notwendig, dass wir uns stärker auseinandersetzen mit Fragen der Zukunft. Aber die Auseinandersetzungen, die in der Gesellschaft geführt werden und die Erwartung, dass wir zu allen Fragen immer eine klare Haltung haben müssen, fordert uns sehr. Und dann dazu die Erfahrung, dass Positionen und Meinungen hart sind und trennen können. Dass solche Diskussionen müde machen, ist kein Zeichen von Gleichgültigkeit, sondern sagt mir, dass viele überfordert sind. Und es zeigt, wie sehr wir uns nach Ruhe, nach Verlässlichkeit und Vertrauen sehnen und nach einem Miteinander, bei dem man sich nicht dauernd beweisen oder rechtfertigen muss.

Und da spüre ich auch etwas Verbindendes

Eine tiefe Sehnsucht nach Sinn, nach Zugehörigkeit, nach einem Leben, das mehr ist als Funktionieren. Viele Menschen fragen sich: Worauf kann ich mich verlassen? Wer sieht mich wirklich? Wo finde ich Halt? Weihnachten spricht genau in diese Sehnsucht hinein. Die Weihnachtsgeschichte erzählt nicht von Stärke, Erfolg oder Durchsetzungskraft. Sie erzählt von einem Kind, das geboren wird in Armut und Verletzlichkeit. Und in diesem Kind, so glauben wir, kommt Gott. Er kommt nicht mit Macht, sondern mit Nähe; nicht mit Forderungen, sondern mit einer Zusage: „Ich bin bei euch! Gerade da, wo das Leben brüchig ist.“

Sich-Beschenken-Lassen

Vielleicht liegt darin eine entscheidende Aussage für unsere Zeit. Wir leben stark aus dem Ich heraus: Ich muss mich behaupten, ich muss recht haben, ich muss mich schützen. Das ist verständlich, aber genau das ist es, was uns schnell erschöpft. Weihnachten lädt uns ein, den Blick zu weiten: Weg vom Ich hin zum Du und weg vom Leisten hin zum Sich-Beschenken-Lassen. „Du musst dich nicht messen“, heißt ein Lied der Liedermacherin Dota Kehr. Du darfst einfach sein wie du bist und dich beschenken lassen.

Das war auch der ursprüngliche Gedanke, warum das „Christkind“ Geschenke bringt: Du musst dich nicht messen oder etwas leisten, denn Gott beschenkt dich. Das zweite, was Weihnachten sagt, ist: Du sollst deinen Nächsten lieben. Und das ist kein großes Wort, das man sich gerahmt an die Wand hängen soll. Nächstenliebe ist eine Haltung, die guttut. Sie beginnt da, wo ich den oder die andere erst einmal Mensch sein lasse, mit seiner Geschichte, seinen Ängsten, seinen Hoffnungen.

Kein naives Harmonieversprechen

Mehr solches Mitfühlen und Nächstenliebe würden unserer Gesellschaft guttun, nicht als ein naives Harmonieversprechen, sondern als bewusste Entscheidung, dem anderen zuzuhören und ihm Würde zuzugestehen. Nächstenliebe heißt nicht, jede Meinung zu teilen. Aber sie heißt, den anderen nicht auf eine Haltung oder ein Schlagwort zu reduzieren.

Weihnachten verklärt die Welt nicht. Es nimmt das Dunkel ernst und setzt ihm ein Licht entgegen. Ein kleines Licht, das nicht blendet, sondern Mut macht. Ein Licht, das sagt: Du bist gesehen. Du bist gemeint. Du bist nicht allein.

Was ich mir wünsche

Was ich uns für dieses Weihnachtsfest wünsche, ist deshalb etwas sehr Konkretes: die Ruhe, die so viele vermissen und dass wir uns Zeit nehmen: für ein ehrliches Gespräch, für einen versöhnlichen Schritt, für einen Moment der Stille. Vielleicht entdecken wir darin neu, was uns trägt und was uns verbindet.

Gesegnete Feiertage!
Ihr Dekan Frank Kreiselmeier